Lauterbacher Anzeiger, 9. November 2006

 
     
 

Als die Bilder laufen lernten...

Beim "Stummfilmabend" im "Wilden Mann" in Bermuthshain schlugen sich die Zuschauer vor Lachen auf die Knie

 
 

BERMUTHSHAIN (mgg)

Als die Bilder laufen lernten, kam es im Film zwangsläufig noch auf das an, was das Bild erzählen konnte, denn hörbare Dialoge gab es vor 1927 nicht. Ein alter Hut sind Stummfilme fast 80 Jahre danach noch immer nicht, wie ein Filmabend im "Wilden Mann" in Bermuthshain zeigte. Zahlreiche Zuschauer schlugen sich vor Lachen auf die Knie, als Charlie Chaplin, Buster Keaton, Stan und Oli und viele andere ihre Späße auf der Leinwand machten.

Der Pianist Helge Barabas aus Mainbernheim sorgte für die musikalische Begleitung. Eingeladen hatte ihn der Kulturkreis Blaues Eck. In den Pausen wurden die Gänge eines delikaten 20er-Jahre-Menüs serviert.

Nicht zu allen Stummfilmen gab es eine feste Partitur, sondern die musikalischen Begleiter spielten irgend etwas, was sie für passend hielten. Deshalb werden heute Neuvertonungen geschrieben, vor allem wenn eine feste Tonspur gebraucht wird - wie beim Verkauf dieser Filme auf DVD. Nicht immer, so meint auch Helge Barabas, sind diese Neuvertonungen gut anzuhören.

Statt einem Film zu dienen, überdecken und überladen sie ihn oft. Dass einige der Komponisten obendrein meinen, sie müssten dem jeweiligen Film ihren "modernen" Stempel aufdrücken, kommt erschwerend hinzu.

Barabas hat eine andere Auffassung von Stummfilmmusik. Seiner Meinung nach ist die Begleitung dann am besten, wenn man nicht merkt, dass sie da ist. Denn die Musik soll nicht von den Bildern ablenken, sondern sich ganz und gar einfügen.

 

Das gelang Helge Barabas auch. So wie er spielte, wirkte es, als sei das schon immer die Musik dieser Filme gewesen. Das Publikum konnte sich ganz den Filmen zuwenden und hatte sehr viel Spaß dabei. Ragtime, Boogie-Woogie und Jazz aus der Zeit von 1900 bis 1930 sowie eigene Kompositionen hat Barabas eigens für die Filme zusammengestellt. Diese Stücke dienen ihm als Grundthemen, die er - je nach den Reaktionen des Publikums - variiert.

Helge Barabas ist nicht ausschließlich Stummfilmpianist. Er gibt Konzerte und Kurse, schreibt Musik und Lehrwerke und veröffentlicht CD. Seine Arbeit mit Filmen hat sich dadurch ergeben, dass er beim Schreiben von Stücken immer Bilder im Kopf hat, wie er im Gespräch mit dem Lauterbacher Anzeiger sagte. Zunächst hat er sich einfach so mit Filmmusik beschäftigt, ohne die Absicht, selbst Filme zu vertonen.

Bei mehreren Stummfilm-Vorführungen mit Live-Musik hatte er den Eindruck, dass die Pianisten entweder schlecht vorbereitet waren oder zu aufdringlich begleiteten. "Ich wollte das besser machen." Das Repertoire, um frühe Filme zu begleiten, hatte Barabas bereits, denn schon immer spielte er Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Als er 1994 zum ersten Mal einen Film begleitete, war es "Nosferatu" von Friedrich Wilhelm Murnau, 1921 einer der ersten Vampirfilme. Es folgten die Murnau-Filme "Faust" und "Tartüff", außerdem "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Robert Wiene und Charlie Chaplins "Goldrausch". Diese und andere frühe Filme gefielen Helge Barabas sehr bald besser als viele neue, denn hier passiert im Bild, was später einfach durch Dialoge ersetzt wurde. Natürlich gibt es sehr viele Tonfilme, die die Möglichkeiten der Bilder voll und ganz nutzen, doch viele sind nichts weiter als Hörspiele mit Bildern, deren Darsteller nicht einmal schauspielerisches Handwerk erkennen lassen.

 

Die Zusammenstellung kleiner Slapstick-Filme, die Helge Barabas im "Wilden Mann" begleitete, stammt aus den sechziger Jahren und trägt den Titel "Als Lachen Trumpf war". Sie präsentiert Filme aus zwei "Lagern".

Der Produzent Mack Sennet setzte auf Tempo und eine möglichst schnelle Abfolge von Pointen. Zu seinen Darstellern gehörten Buster Keaton, Fatty Arbuckle, Ben Turpin und - im ersten Jahr seiner Filmkarriere - Charlie Chaplin. Sennets Konzept funktionierte im Tonfilm nicht mehr, für ihn und die meisten seiner Darsteller bedeutete das den Ruin. Auf langsames Tempo und ein langsames Hochschaukeln der für die Figuren im Film gar nicht so amüsanten Situation setzte der Produzent Hal Roach. Bei ihm spielten unter anderem Bobby Burns, Harry Langdon, Snub Pollard und Edgar Kennedy sowie Stan Laurel und Oliver Hardy. Das Hal-Roach-Konzept überlebte den Beginn der Tonfilmzeit. Bestimmte Elemente, die zuerst in Sennet-Filmen zu sehen waren, gibt es allerdings ebenfalls bis heute, etwa intelligente Tiere, die den Menschen helfen, und trottelige Polizisten.
Der erste Gang des durchweg ausgezeichneten Menüs ...

Veranstaltungen wie diese haben freilich immer den Ruf, "Nischenprodukte" zu sein. Normalerweise muss man weit fahren, um Derartiges zu erleben. Dass der Kulturkreis Blaues Eck eine Veranstaltung wie diese nicht den Großstädten überließ, zeugt von der Vielfalt seines Angebots und davon, dass auch der ländliche Raum viel zu bieten hat, wenn man es will.

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M. GÜNKEL

 
 

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